Haus der Lüge oder 91, Avenue Sleeckx

Das Haus in der Avenue Sleeckx ist nicht weit von uns entfernt. Um dort hin zu gehen überquert man den Ring und die Strassenbahnschienen. Hält man sich links, ist es die zweite Strasse rechts. Am Schlüsseldienst und der Reinigung vorbei ist das Haus schon zu sehen. Es steht heute leer. Damals, als wir die Wohnung im dritten Stock beziehen wollten, mussten schon einige der Mieter fortgezogen sein, die anderen zogen nach und nach aus, das bemerkte ich aber erst später.

Der Vermieter hatte uns vorgeschlagen die Bilder mit selbstklebenden Haken aufzuhängen, man müsse so keine Löcher in die Wand bohren und ausserdem wären diese Haken billig zu bekommen. War das geeignet für unser Vorhaben? War die Wohnung nicht zu klein? Wo aber sonst hätten wir hin sollen?

Das alles ist eine Frage der Dekoration, denke ich heute. Bilder, Zeichnungen, Tapeten lassen sich ja ohne Probleme anbringen. Für die Skulptur gab es keinen Kaminsims, erstaunlich für einen Altbau. Wir überlegten mit Vorhängen das größere Zimmer zu teilen – klein wäre es schon, dass mussten wir uns damals wohl eingestanden haben. Dafür ist das Treppenhaus weiträumig, versicherten wir uns gegenseitig, mit einem farbig gefassten Oberlicht versehen, orange-gelbe dreieckige Formen um ein Zentrum geordnet: das Treppenhaus mit seinem Lichtspiel wäre doch ein schöner Kontrast zur kleinen Wohnung.

Wir stellen sie voll mit Leinwänden, deren Bilder von Vasen und Landschaften mit dem Gesicht zur Wand lehnen. Papierrollen, Materialreste, Töpferwaren stapeln sich in der nähe des Fensters das zum Innenhof hinaus geht, davor eine Lampe aus Draht. Im kleineren Zimmer sind Kleidungsstücke auf Äste gelegt, darunter schlafen wir. Manchmal sitzen wir auf den beiden Stühlen und betrachten die Wände, Farbe blättert ab, Landschaften werden sichtbar.

Jörg Baier, Juni 2017