Über das Finden, Erfinden und die Wiederkehr der Bilder

Jörg Baiers Interesse gilt dem Bild. Daher ist er, obwohl er aktuell fast ausschließlich im Medium der Zeichnung und der Collage arbeitet, eigentlich ein Maler. Als solcher schafft er Bilder. Bilder, die als ästhetisches Phänomen der realen, sichtbaren Welt etwas an die Seite stellen, das sich von banaler Alltagserfahrung unterscheidet und sich auf der zweidimensionalen Fläche der Leinwand oder des Papiers mittels Farbe und Form herstellen lässt.

Das Interesse eines Malers an Bildern ist zugleich immer ein rezipierendes: Bilder werden, bevor sie geschaffen werden, gesehen – in der Natur, in Reproduktionen, in anderen Kunstwerken, in der eigenen Vorstellung. Das bewusste Sehen von Bildern ist Voraussetzung für das Machen von Bildern.

Jörg Baier hat eine besondere Aufmerksamkeit für Bilder: für die Werke anderer Künstler, teils aus der Gegenwart, teils aus früheren Epochen; für Abbildungen von Dingen und Kunstgegenständen in Katalogen und Magazinen; für Fotos und Grafiken, die er in Bibliotheken kopiert, sammelt und archiviert; und nicht zuletzt für seine eigene künstlerische Produktion, die er in länger andauernden Prozessen evaluiert und der er mit Aussortierung oder mit weiteren Bildern begegnet.

Wenn sich in seinen Arbeiten oft aus anderen Bildern entlehnte Motive finden, ist dies jedoch weniger als referentielle Aneignung oder als Zitat zu verstehen, sondern als Reverenz an Bilder als solche. Finden und Erfinden widersprechen sie bei ihm nicht, sondern liegen nah beieinander. Es scheint bei ihm vielmehr um ein Verwandeln von Bildern zu gehen, darum, sie in anderer Form wiederkehren zu lassen.

Seit 2012 entstehen erstmals kleinformatige Zeichnungen, parallel zu den mittleren und größeren Formaten. Diese neue Gruppe von Zeichnungen ist bunt, esoterisch, von Innen leuchtend, chiffrenhaft verdichtet und nebulös. Stilistisch erinnern die Arbeiten an die Malerei des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, die unmittelbar vor der Entstehung der Abstraktion in Europa viele Künstler zu symbolistisch entgrenzten Formen und pastelligen Farben finden ließ und damit die Gegenständlichkeit an ihre äußerste Grenze trieb. Das Esoterische ist bei Jörg Baier aber nicht naiv, auch nicht ironisch, sondern bewusst eingesetzt. Denn er greift damit auf ein Bildprinzip zurück, das darauf abzielt, etwas Bildimmanentes zur Erscheinung zu bringen, das nicht selbstreferentiell bleibt, sondern uns als ästhetische Erfahrung in unserer Existenz betreffen kann, indem es sich auf etwas Allgemeines bezieht.

Die ebenso komplexe wie fragile Schönheit seiner Zeichnungen ist Resultat verschiedener, ausgetüftelter Techniken, wie der Imprägnierung des P apiers mit Ölpastell, dessen Einfärben mit verdünnten Tinten sowie dem Durchschraffieren verschiedener Oberflächentexturen. Letztere, von Jörg Baier in der Vergangenheit fast ausschließlich angewandte Technik der Frottage scheint symptomatisch für das Anliegen, etwas aus dem Alltäglichen herauslösen und auf der Fläche zur Erscheinung bringen zu wollen.

Während seine Zeichnungen immersiv angelegt sind, folgen seine Collagen formal einem analytischeren, architektonischeren, sachlicheren Prinzip. Sie richten sich nach bestimmten, selbst aufgestellten Regeln, die ihre gebaute, konstruierte Wirkung noch unterstützen. Dennoch scheint es auch hier weniger um eine distanzierende Brechung oder Verfremdung der Bildmotive zu gehen, als um deren durchaus respektvolle Überführung in einen anderen Zustand. Die formale Angleichung der Vorlagen durch den Fotokopierer spielt bei der Erzeugung dieser neuen Bilder eine genauso wichtige Rolle wie das tiefe, absorbierende Schwarz der Toner-Farbe.

Wichtig ist, dass Jörg Baier seine Bilder häufig in Zusammenhänge stellt: Die Zeichnungen entstehen oft in seriellen Prozessen, einzelne Motive tauchen über längere Perioden immer wieder versatzstückhaft auf, sie hallen nach, bringen ihre Form fast selbsttätig wieder neu hervor. Diesem Zusammenhang zwischen den Einzelbildern, insbesondere bei den Collagen, trägt auch die Präsentation in bestimmten Gruppierungen und Hängungen Rechnung. Die Kontextualität seiner Bilder geht darüber aber noch hinaus: Immer bleibt der Bezug zum Vergangenen und zur Geschichte der einzelnen Motive bestehen. Jörg Baier sucht somit eher nach dem Universalen als nach dem Partikularen, nach dem, was sich als Bild in die Kunstgeschichte, vielleicht sogar in unser kollektives Bildgedächtnis eingebrannt hat und aus dessen Tiefe nachhallt.

Daniela Stöppel, 2014